Schulstraße (1833)
Berliner Str. 13 (am Renneplatz, um 1901)
Berliner Str. 26 (am Marktplatz, um 1893)
Die Firma W. Ph. Ouvrier wurde im Jahre 1802 vom Kaufmann Wilhelm Philipp Ludwig Ouvrier gegründet, 1812 wurde er in die Freimaurerloge aufgenommen. Kutschbach schreibt in seiner Chronik von 1849 über die französischen Besatzer im Jahre 1812: "Ebenso riß man am Berliner Thor die Remisen und Stallungen des Kaufmanns Ouvrier (jetzt Brutschke) ein". Erst im November 1825 findet sich dann ein weiterer schriftlicher Nachweis seines Geschäfts, eine Werbeanzeige im "Amts-Blatt der Königlich Preußischen Regierung zu Frankfurt a.d.O". Dort warb er mit:
- seinem "Mühlenstein-Lager, schlesischen Gesteins"
- seiner "Niederlage der Taback-Fabrick der Herrn Meyerotto & Comp. in Neusalz"
- "aechten Eau de Cologne von F. M. Farina"
- und "ächten Hamburger Tabacken von J. E. Justus"
Im "Adreßbuch der Kaufleute und Fabrikanten von ganz Deutschland [...]" von 1833 findet man erstmals die Art des Geschäftes, bei der Firma Ouvrier handelte es sich in dieser Zeit um eine Materialwarenhandlung mit Sitz in der Schulstraße. Dort wird der Inhaber aber abweichend "Wilh. Frd. Ouvrier" genannt. "Materialwaren" ist ein alter Begriff, er stammt noch aus dem 18. Jahrhundert, später nannte man diese Geschäfte "Kolonialwaren-" bzw. Farbwarenhandlungen.
In einem Gewerbeadressbuch von 1843 wird die Firma W. Ph. Ouvrier dann unter dem zu dieser Zeit moderneren Begriff "Colonial- und Farbwaaren" geführt. Zu den Mitbewerbern der Firma Ouvrier zählte - erstmals in diesem Jahr nachgewiesen - auch eine Firma C. A. Fleck.
Ab Juni 1862 wurden beim Kreisgericht in Cüstrin ein Firmen- und ein Gesellschaftsregister eingeführt. Unter der Nr. 4 des Gesellschaftsregisters fand man die Handelsgesellschaft "W. Ph. Ouvrier", Inhaber waren zu dieser Zeit die Kaufleute und Brüder Carl und Hermann Ouvrier, sie hatten das Geschäft nach dem Tod ihres Vaters übernommen. Ab 1854 fungierten die beiden Ouvriers auch als "Agenten der Hagelschaden- und Mobiliar-Brand-Versicherungsgesellschaft zu Schwedt a.O." für die Stadt Küstrin und deren Umgebung. Die Firma Ouvrier wird in Gewerbeadressbüchern von 1866 und 1867 erstmals als Colonialwarenhandlung und Spedition genannt.
Im Jahre 1864 wurde auf dem Bahnhof Küstrin eine Königliche Kohlenverkaufsstation eingerichtet. Nachdem diese schon am 1. Juli 1867 wieder geschlossen wurde, wurde der Handel mit Kohlen aus den Bergwerken König bei Königshütte und Königin Luise bei Zabrze (Oberschlesien) auf den Bahnhöfen Küstrin, Podelzig, Golzow und Gusow der Firma Ouvrier übertragen. Nach dem Tod von Carl Ouvrier führte Herrmann Ouvrier das Unternehmen ab 1869 allein weiter.
1893 gehörte die Firma W. Ph. Ouvrier einem Herrn Franz Walter und befand sich in der Berliner Straße 26 (am Marktplatz).
Im Jahre 1901 waren die Herren Fritz Berger und Rudolf Borchert die Eigentümer der Firma W. Ph. Ouvrier Nachfolger, der Sitz befand sich nun in der Berliner Straße 13 am Renneplatz (siehe Foto).
Einige Jahre später, ab 1. Januar 1903, gehörte auch die "Firma W. Ph. Ouvrier Nachfolger" dem Küstriner Kaufmann Adolf Rühtz.
Sitz des Geschäftes in der Berliner Straße am Renneplatz
(Quelle / Kolorierung: Ryszard Dubik)
Wilhelm Philipp Ludwig Ouvrier wurde 1777/78 als Sohn des Neudammer Oberpfarrers Johann Friedrich Ouvrier geboren. Er wurde 1812 in die Küstriner Freimaurerloge Friedrich Wilhelm zum Goldenen Zepter im Orient aufgenommen bzw. „affiliirt“ und diente in der Loge 1815/16 als Redner bzw. zwischen 1816 und 1819 als Schatzmeister. Zu Beginn der 1840er Jahre war deputierter Meister der Loge. W. Ph. L. Ouvrier war in den 1830/40er Jahren Ratsherr in Küstrin und war dreimal verheiratet. Seine letzte Frau, eine geborene Seydel, starb am 13.04.1839 im Alter von knapp 47 Jahren an einer Unterleibskrankheit. W. Ph. Ouvrier starb am 28.03.1841.
Aus der „Stammtafel der Familie Ouvrier aus Küstrin und Grünberg/Schles.“ aus dem Staatsarchiv in Leipzig und dem „Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin“ von 1843 kann man einiges über die Familie herauslesen. Das Amtsblatt nennt Rahmen einer Hypothekensache in Küstrin sechs Kinder von W. Ph. L Ouvrier, sie hatten im Jahre 1825 Anteile an dieser Hypothek geerbt:
- Wilhelmine Dorothea Elvira Charlotte
- Carl Philip Theodor
- Dorothea Friederike Louise
- Herrmann Philipp Otto (*12.11.1821 in Cüstrin, + 08.11.1897)
- Clara Louise Auguste
- und Charlotte Pauline Elisabeth
Das Foto zeigt das Grab der Familie Ouvrier auf dem städtischen Friedhof in Küstrin-Neustadt, heute ist dieser Friedhof eine Parkanlage im Herzen von Kostrzyn nad Odra. Die Grabstelle überstand den Zweiten Weltkrieg, das Foto stammt aus der Zeit zwischen 1965 und 1970. Leider existiert diese Grabstelle heute nicht mehr.
Herrmann Ouvrier besuchte in Küstrin des Gymnasium und übernahm zusammen mit seinem Bruder Carl nach dem Tod des Vaters das Unternehmen (siehe oben). Er wurde 1874 in den Preußischen Landtag gewählt. Der Kaufmann Carl Ouvrier hinterließ im Jahre 1869/70 dem in Cüstrin neu gegründeten "Verein zur Unterstützung bedürftiger und würdiger Gymnasiasten" testamentarisch 200 Thaler. In den Folgejahren besuchten einige Söhne aus der Kaufmannsfamilie Ouvrier das Gymnasium:
- Carl (*21.06.1856 in Cüstrin): zwischen 1867 und 1878. Erhielt Zeugnis der Reife; Vater Stadtrath in Cüstrin; Studium: Jura; Zu Ostern 1878 entlassen. Er arbeitete 1892 als Regierungsrat in Emden, später war er Bürgermeister in Grünberg (Schlesien).
- Ernst (* 15.02.1865 in Cüstrin): zwischen 1874 und 1885. Er hat Michaelis 1885 das Zeugnis der Reife erhalten; Vater ist Stadtrat in Cüstrin; geplanter Beruf / Studium: Offizier; Er arbeitete 1892 als Polizei-Lieutnant in Hannover.
- Herrmann (*. ca. 1857): zwischen 1867 und 1879. Er verließ 1879 die Schule.
- Max: zwischen 1873 und 1884. Er verließ 1884 die Schule.
- Paul (+ 03.02.1877): zwischen 1873 und 1877
- Georg: zwischen 1876 und 1884
Hier sind die verwandtschaftlichen Verhältnisse nicht genau überliefert. Fest steht nur, das Carl und Ernst Brüder und Söhne von Herrmann Philipp Otto Ouvrier waren.
Quellen:
- Amts-Blatt der Königlich Preußischen Regierung zu Frankfurt a.d.O, 1825
- Amts-Blatt der Königlich Preußischen Regierung zu Frankfurt a.d.O, 1829
- Amts-Blatt der Königlich Preußischen Regierung zu Frankfurt a.d.O, 1831
- Adreßbuch der Kaufleute und Fabrikanten von ganz Deutschland [...], 1833
- Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin, 1846
- Allgemeines Adressbuch von Deutschland, des österreichischen Kaiserstaates und der Schweiz, 1856
- Amts-Blatt der Königlich Preußischen Regierung zu Frankfurt a.d.O, 1862
- Amts-Blatt der Königlich Preußischen Regierung zu Stettin, 1867
- Beilage zum Königlich Preußischen Staats-Anzeiger, Nr. 247, 21.10.1869
- Parlamentarisches Handbuch für den Deutschen Reichstag und den Preußischen Landtag - Ausgabe für die XII. Legislatur-Periode des Preußischen Landtages, Berlin, 1874
- Chronik der Stadt Küstrin, Kutschbach, K. W., 1849
- Stammtafel der Familie Ouvrier aus Küstrin und Grünberg/Schles., Staatsarchiv in Leipzig
- verschiedene Adressbücher der Stadt Küstrin
- verschiedene Gewerbe-Adressbücher
- Geschichte der Loge Friedrich Wilhelm zum Goldenen Zepter im Orient Cüstrin vom 7.Dezember 1782 bis 1882
- Fotos der Geschäfte: Dietrich Wolff