Was ist ein Lyzeum ?

Viele werden sich unter dem Begriff "Lyzeum" nichts mehr vorstellen können, darum möchte ich mit einem Zitat aus der Wikipedia* beginnen:

Ende des 19. Jahrhunderts nennt man dann im Deutschsprachigen schon ausdrücklich die Höhere Töchterschule, eine Mädchenschule, die die bisher nicht vorhandene höhere Bildung für weibliche Schüler ergänzt, "Lyzeum", um sie vom "Gymnasium" der Knaben, das sich ja auch auf sportliche Ertüchtigung im Sinne "gesunder Körper und gesunder Geist (Mens sana in corpore sano) bezieht - und Mädchensport war bis in die 1910er-Jahre undenkbar, allein schon wegen der Kleiderordnung, vom unzüchtigen Bezug auf Nacktheit ganz abgesehen. Der Name findet sich daher als Schulname für etliche Mädchengymnasien.

Von der "Knauertschen Privat-Töchterschule" zum Lyzeum

Die Schule wurde 06.01.1796 (andere Quellen nennen 1794 als Gründungsjahr) von Johann Gottfried Knauert, der auch als Kantor an der höheren Bürgerschule in Küstrin tätig war, als "Knauertsche Privat-Töchterschule" gegründet. Die Schule war vierklassig, jede dieser Klassen war zweijährig. Neben dem Schulgeld mussten die Eltern auch einen monatlichen Obulus für Schreibmaterialien, die Bibiliothek und Lehrmittel bezahlen, im Winter kam noch Holzgeld dazu.

Höhere Töchterschule zu Cüstrin

Im Jahre 1836 wurde die Schule durch die Stadt übernommen und als "Höhere Töchterschule zu Cüstrin" weitergeführt. Der Gründer und bisherige Leiter der Schule, Kantor J. G. Knauert, wurde 1837 offiziell zu deren Rektor ernannt.

Lyzeum Küstrin, SchultraßeFoto: Schulgebäude in der Schulstraße 50a

Am 21.Oktober 1855 wurde das neue Schulgebäude eingeweiht, das neben der Höheren Töchterschule auch die Elementarschule für Mädchen beherbergte. Das dreistöckige Gebäude befand sich in der Schulstraße 50a, Küstrin-Altstadt und war nur über einen Durchgang in dem Haus zu erreichen, in dem Friedrich der Große nach seiner Festungshaft einige Zeit wohnte.

Schon 1867 musste die Höhere Töchterschule während des Baus des Gymnasiums das Gebäude eben dieser Schule zur Verfügung stellen und in Räume der Bürgerschule in der Schulstraße umziehen. Da sich die Bürgerschule direkt neben der Baustelle des Gymnasiums befand, war der Unterricht durch den Baulärm entsprechend eingeschränkt. Erst im September 1870 konnten die Schülerinnen in die eigenen Räume zurückkehren.

Ein Übelstand seiner Zeit, der wohl auch von anderen Mädchenschulen beklagt wurde, beschrieb der Direktor der Schule im Jahre 1872. Viele Schülerinnen würden schon in der 2. oder 3. Klasse - manchmal sogar in der 4. oder 5. Klasse (die Zählung erfolgte damals rückwärts, die Abschlussklasse war Klasse 1) von der Schule abgehen. Er meinte dazu, Zitat:

Viele Eltern betrachen die höhere Töchterschule nicht als das, was sie ihrer Idee nach sein soll, sondern als eine exclusiv gehaltene Elementarschule, zu der, wegen der Höhe des Schulgeldes, eben nicht jeder Zutritt hat. Daher kommt es, dass es in den Mittelklassen, wo höhere Ansprüche an Aufmerksamkeit, Fleiss und natürliche Begabung gestellt zu werden anfangen, viele Mädchen zurück bleiben, an der "ausländischen Gelehrsamkeit" scheitern, und ohne zu irgend einem Abschluss ihrer Bildung gekommen zu sein, mit Ungeduld den 14. Geburtstag erwarten, um dann sofort abzugehen.

Als Lösung für dieses Problem sah er ein Schulmodell, welches zwischen der Elementarschule und der Höheren Mädchenschule noch eine Bürger-Mittelschule für Mädchen vorsah, bei der die Ansprüche nicht so hoch waren - die Exklusivität aufgrund des höheren Schulgeldes aber weiterhin gegeben war. Städte mit solch einem Schulmodell hatten wohl weniger mit dem oben skizzierten Problem zu tun.

Ostern 1872 wurde an der Schule ein "Fortbildungscursus für Damen" eingerichtet. Von den ersten 20 teilnehmenden Frauen blieben 10 übrig. Themen waren die Weltgeschichte, Geschichte der Schöpfung, allg. Literaturgeschichte, wissenschaftliches Rechnen, sowie deutsche, französische, englische und italienische Sprache.

Mitte der 1870er Jahre hatte die Schule aufgrund von wiederholten Krankheitsfällen immer wieder mit Personalmangel zu kämpfen, so dass sogar ehemalige Schülerinnen wie die Schwester der Lehrerin Fräulein Puppe, Therese Puppe, sowie Alma Miethe den Unterricht - zumindest stundenweise - übernehmen mussten.

Im Schuljahr 1875/76 trat Fräulein Elisabeth Rintz ihren Dienst - als Ersatz für die an die Höhere Töchterschule in Lennep gewechselte Kollegin Auguste Matthies - an. Sie unterrichtete u. a. Französisch. Zwischen 1. September und 1. Dezember 1876 erwarb sie sich die Berechtigung als Turnlehrerin, so dass ab 1. Februar 1877 erstmals Turnunterricht als freiwilliger "Privatkurs" für die Mädchen eingeführt werden konnte. Erst ab 1887 war der Turnunterricht Regelfach.

Städtische höhere Mädchenschule

Im Jahre 1894 wurden in Preußen zum ersten Mal gesetzliche Vorschriften und ein Lehrplan für höhere Mädchenschulen erlassen. Erst 1908 erfolgten neue Vorschriften, dabei wurden die Mädchenschulen den Knabenschulen angeglichen. Im Rahmen dieser Veränderungen übernahm die Höhere Mädchenschule ab Ostern 1909 die "Richtersche Privatschule" in Küstrin Neustadt.

Die Richtersche Privatschule wurde 1879 gegründet und befand sich bis Oktober 1915 in der Landsberger Straße 2, danach aus Platzgründen in der Plantagenstraße 8 (Bankhaus Puppe). In den Küstriner Adressbüchern taucht diese Schule jedoch erst in Ausgabe 1905/06 als "Privat-Mädchenschule" auf. Schulvorsteherin war zu dieser Zeit Fräulein Käthe Borowski, etwa zwischen 1906 und 1909 hatte diesen Poste Fräulein Elise Knospe inne.

Auch nach dem Zusammenschluß der beiden Schulen blieben beide Standorte erhalten, vier Klassen sollten in der Neustadt verbleiben. Die dadurch entstandene Schule wurde am 1. Juli 1911 wieder als höhere Mädchenschule anerkannt.

Städtisches Lyzeum Cüstrin

Siegelmarke Lyzeum KüstrinSeit dem 1. Februar 1912 trug die Schule dann den Namen "Lyzeum". Auch am Lyzeum musste Schulgeld bezahlt werden. Anfangs richtete sich der Betrag nach den Klassenstufen (Klassen X-VII und VII-I), später war er für alle Klassen einheitlich. Auswärtige zahlten immer mehr als Einheimische.

Am 18.3.1914 wurde aufgrund der Forschungen von Prof. Dr. Fredrich (Gymnasialdirektor und Vorsitzender des Vereins für die Geschichte Küstrins) am Lehrerhaus (Schulstraße 51, eigentlich wohl 50a), eine durch die Firma Schmah (Bildhauer Oskar und Athur Schmah, Zorndorfer Straße 15) angefertigte Marmortafel mit der folgenden Inschrift angebracht:

 

An dieser Stelle wohnte Friedrich d. Gr. als Kronprinz
vom 19.November 1730 bis zum 26. Februar 1732.

 

Wie schon erwähnt wurde, war das Schulgebäude nur durch einen Durchgang in diesem Haus zu erreichen. Am 21. März 1914, dem 100. Jahrestag der Befreiung Küstrin von den Franzosen, nahmen alle Schülerinnen und Lehrer an der Einweihung des Denkmals für Leutnant Wilhelm von Falkenhayn an der Odervorflutbrücke (ehem. Torschreiberbrücke) teil. Leutnant von Falkenhayn war am 31.10.1806 bei der Verteidigung der Stadt gefallen.

Die ersten Tag nach der Mobilmachung am 1. August 1914 fand der Unterricht nur unregelmäßig statt, viele Schülerinnen halfen bei der Ernte oder versorgten die um die Festung verteilten Aussenposten mit Erfrischungen. Erst am 10. August wurde der reguläre Unterricht wieder aufgenommen. Einige Schülerinnen von Ausserhalb konnten jedoch nicht gleich wieder daran Teilnehmen, da die Eisenbahn nur vom Militär genutzt wurde. Von den Lehrern wurde dabei nur der Oberlehrer Langenberg als Vizefeldwebel und Offiziersstellvertreter in die Landwehr einberufen. Einige seiner Kollegen übernahmen seine Fächer, um aber eine Überlastung der übrigen Lehrer zu verhindern, wurde der wissenschaftliche Unterricht um eine Stunde gekürzt. Dieser Zustand änderte sich erst nach Michaelis (29. September) wieder, als Oberpfarrer Janke und Dr. Lamla (wissenschaftlicher Hilfslehrer am Kgl. Gynmasium) einzelne Fächer übernahmen. Lehrerin Fräulein Holäufer richtete im Konferenzzimmer des Lyzeum eine Nächstube ein, in der mit Untstützung von Küstriner Frauen und ehemaligen Schülerinnen vieles für die Front (wie. z.B. Militärhemden) genäht wurde. Immer wieder wurden nach Anweisung des "Oberbefehlhabers in den Marken" Siegesfeiern in der Schule abgehalten.

Im Schuljahr 1924/1925 gab es nur noch zwei Klassen in der Neustadt, die unteren Klassen waren eingegangen. Viele Lehrer mussten in beiden Standorten unterrichten und pendelten zwischen Alt- und Neustadt hin und her. Dabei ging viel Zeit verloren und die Stundenpläne wurden für die Schülerinnen ungünstiger.

Die Schule gehörte der "Schulfilmgesellschaft der Cüstriner Schulen" an, durch deren Zusammenschluß es möglich war, dass die Schulen die Vorführung von Lehrfilmen - ohne geschäftliche Interessen berücksichtigen zu müssen - selbst organsieren konnten. Seit 1.4.1925 gehörten alle Schülerinnen der Jugend-Unfallversicherung an. Diese Versicherung wurde von der Stadt ermöglicht, versichert waren alle von der Schule organisierten Sportübungen und Wanderungen. Ab 1.1.1927 konnten die Klassen der Schule das Friedrichszimmer im Schloß kostenlos besichtigen, da die Stadt dem Verein für die Geschichte Küstrins dafür eine Pauschale zahlte.

Erst im Schuljahr 1929/30 bekam der zweite Stock des Schulgebäudes elektrischen Strom. Für das Nadelarbeitszimmer wurden danach zwei elektrische Nähmaschinen angeschafft.

Städtische Oberschule für Mädchen

Siegelmarke Städtische Oberschule für Mädchen Küstrin1931 wurde das Lyzeum zur "Städtischen Oberschule für Mädchen" und zog in die Landsberger Straße 100a. Im Schuljahr 1931/32 wurde das als Sportplatz gepachtete Gelände am Schulhaus mit einem Zaun versehen. Die Einebnung sollte im darauf folgenden Schuljahr erfolgen. Aufgrund eines Sparerlasses vom 14.9.1931 fiel in der Schule eine Studienratstelle und eine halbe Stelle für technische Fächer weg.  Dies konnte jedoch ausgeglichen werden. Die Lehrerinnen Münster (Zeichnen) und Zigelsky (Nadelarbeit) mussten auch in der küstriner Pestalozzi-Schule unterrichten, um auch nur annähernd ihre Pflichtstunden zu erreichen. Der Sportplatz erhielt 1932/33 einen Wasseranschluß. Aufgrund der Mittelkürzungen konnten keine neuen Unterrichtsmittel angeschafft werden.

 
Lyzeum KüstrinFoto: Schulgebäude in der Landsberger Straße

Bei der 700-Jahr-Feier der Stadt nahmen die Schülerinnen am Sportfest der Küstriner Schulen teil. Den Wandertag im September 1932 bekamen die Schülerinnen frei, um ein rund um die Stadt stattfindendes Manöver beobachten zu können. Die Klasse UII unternahm im Schuljahr 1933/34 eine einwöchige Lehrreise nach Danzig. Die noch im letzten Schuljahr stattgefundenen schulärztlichen Untersuchungen fanden nun aufgrund des Weggangs des bisherigen Schularztes nicht mehr statt. Am "Gedenktag des Weltkrieges" wurde eine Gedenktafel für den ehemaligen Lehrer der Anstalt, Oberlehrer Langenberg, enthüllt. Am Schuljahresende fand eine Zeichen- und Nagelarbeitsausstellung statt.

Im Schuljahr 1934/35 wurden bereits Luftschutzübungen durchgeführt. Ein vorhandener Raum wurde durch die Klasse UII in einen Gasschutzkeller ausgebaut.

In den folgenden Ausgaben der Schulprogramme findet man immer mehr Einträge politischer Art, wie zum Beispiel die Mitgliederzahlen beim "Bund Deutscher Mädchen". Am 1.2.1936 waren 87% der Schülerinnen Mitglied im BDM, ein Jahr später schon 99,4%. Im Schuljahr 1937/38 war nur noch ein Mädchen NICHT Mitglied. Folgende Passage aus dem Programm des Schuljahres 1935/36 kann man so oder so deuten, echte Empörung oder versteckte Ironie:

"Zu einem Aussprache-Abend über das Thema: Elternhaus, Schule und BDM waren 14 Eltern erschienen, trotzdem auf der Einladung angegeben war, dass die Ringführerin des BDM sprechen würde."

Dieses Zitat sagt aber auch viel über das allgemeine politische Interesse aus. Zu Beginn des Schuljahrs 1936/37 fand wieder eine Nadelarbeit- und Zeichenausstellung statt. Die Mehrzahl der Schülerinnen besuchte das Olympische Dorf. Im Fach Nadelarbeit stellten Schülerinnen eine komplette Säuglingsausstattung her und spendeten diese.

Das einhundertjährige Bestehen der Schule wurde 1936 ein ganzes Wochenende lang gefeiert: Freitag veranstaltete man einen Tanzabend, Samstag fand die Vorfeier statt. Der eigentliche Festakt am Sonntag wurde von der Aula der Schule in den Hohenzollern-Saal verlegt, da zu viele ehemalige Schülerinnen ihr Kommen angekündigt hatten und die Aula dafür deutlich zu klein war. Zu Beginn der Feierlichkeiten wurde in einer Feierstunde den verstorbenen Lehrern der Schule gedacht und Kränze auf deren Gräbern niedergelegt.

Zu Beginn des Schuljahres 1938/39 wurde die 6. Klasse (hauswirtschaftliche Form) eingerichtet. Da für den hauswirtschaftlichen Unterricht keine Räume vorhanden waren, fand der Unterricht in der Mädchen-Volksschule statt. Im gleichen Schuljahr erwarb die Schule einen Schulgarten (500m² groß) direkt neben dem Schulgebäude.

Die Schule wurde in der Nacht vom 21.8. zum 22.8.1939 mit Flak belegt, so dass der Unterricht für zwei Tage ausfiel und erst wieder am 24.8. fortgesetzt wurde. Schon am 1.9. wurde die Schule wieder durch die Flak in Beschlag genommen (auf Anordnung von Hermann Göring). Seit dem 12.9. fand der Unterricht dann nachmittags im Schulhaus der Oberschule für Jungen statt. Am 14.9.1939 konnte der Unterricht nach der Räumung der Flak wieder im eigentlichen Schulhaus durchgeführt werden.

Da die Schule keine Verdunkelungseinrichtungen hatte, wurde der Unterrichtsbeginn vom 27.11.1939 an von 7:50 Uhr auf 8:30 Uhr verlegt. Im Winter 1939/40 fiel der Unterricht immer wieder wegen Kohlemangel stunden- oder tageweise aus. Am 5.2.1940 ordnete der Bürgermeister der Stadt deswegen die Schließung aller Schulen an. Bis Ostern wurde der Unterricht durch Hausaufgaben ersetzt.

Anfang 1940 muss dieser Artikel nun erst einmal enden, da mir bisher keine Unterlagen aus den letzten Jahren bis 1945 vorliegen.

Weitere Informationen
ZeitraumName des Rektors / Direktors (ab 1895)
ab der Gründung Johann Gottfried Knauert (Gründer; auch: Kantor)
ab etwa 1845/46 Robert Bieck (Nachfolger von Knauert; auch: Superintendent)
ab 1851 Nigmann
09/1869 - 09/1877 Dr. Martin Schultze
ab Ostern 1878 Ferdinand Lenz
01.10.1896 bis 1899 Otto Reinhold Matzdorff
01.01.1900 bis 1923 Dr. Gustav Haase
01.04.1923 bis mind. 1940 Adolf Burucker
ZeitraumAnzahl der KlassenDauer des Schulbesuchs
ab 1796 4 8 Jahre
ab ca. 1855 bis 1869 5  
ab 1869 6  
ab 1873 7 10 Jahre
ab 1884 7 9 Jahre
ab 1907   wieder 10 Jahre*

* Im Artikel steht: "1907 wurde die 9klassige Schule wieder 10klassig". Davor war nur von Jahren gesprochen worden.

Schülerlisten

* nicht komplett
** nur Schulabgängerinnen
*** wird gerade erfasst
**** noch nicht erfasst

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Quellen:

  • * Seite "Gymnasium". In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 16. März 2009, 20:08 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Gymnasium&oldid=57972950 (Abgerufen: 24. März 2009, 18:43 UTC)
  • Zeitungsartikel zum 100jährigen Bestehen der Schule im Cüstriner Oderblatt
  • Diverse Adressbücher der Stadt Küstrin
  • Diverse Jahresberichte/Schulprogramme der Schule