Die Gemeinde Kietz bei Küstrin

Da es nur sehr wenige und auch nur bruchstückhafte Quellen zu den ersten Kietzen gibt, behandelt dieser Artikel überwiegend nur den damaligen "neuen Kietz", welcher sich seit 1819 am heute noch aktuellen Standort westlich der Oder befindet. Der Fokus dieses Artikels liegt auf der Gemeindeverwaltung des Dorfes, für allgemeine historische Informationen zu (Küstrin-)Kietz gibt es ja hier bereits einen anderen Artikel.

Noch ein Hinweis: Alle in den Tabellen im Zusammenhang mit Personen genannten Zeiträume sind als "mindestens von - bis" zu interpretieren. Mehr Informationen zu den genannten Personen finden Sie in der Ahnenforschungs-Datenbank.

Das Dorf Kietz bei Küstrin mit seinen Anfangs nur 60 Familien hatte, belegt zwischen 1892 und 1929, eine für die Einwohnerzahl doch recht große Gemeindevertretung. Sie setzte sich aus dem Schulzen (Gemeindevorsteher, ab 1874 Gemeinde- und Amtsvorsteher), vier Gerichtsmännern (Schöffen) und 15 Gemeindeverordneten (heute "Gemeindevetreter") zusammen. Insgesamt hatte sie also eine Sollstärke von 20 Personen, Ende der 1920er Jahre waren es sogar 22.

siegel-standesamtDie Gemeinde Kietz verfügte über eine eigene Schule, ein Gemeindehaus sowie ein Spritzenhaus. Das Gemeindehaus (Kaiserstraße 67, an der Ecke zur Wilhelmstraße) war nicht etwa der Verwaltungssitz, sondern diente als Wohnhaus. Dort wohnten unter anderem die Amts- bzw. Gemeindearbeiter, aber es diente auch als Armenhaus der Gemeinde. Nach der Eingemeindung des Dorfes in die Stadt Küstrin am 1. Oktober 1929 wurde es privatisiert und verkauft. Die Gemeindevertreter nutzen die Schule für ihre Versammlungen - ein separater Artikel über die Kietzer Dorfschule folgt. Daneben hatte Kietz auch ein eigenes Standesamt.

Wie schon im Buch "150 Jahre Feuerwehr Küstrin(-Kietz) 1872 - 2022" geschrieben, befand sich das Spitzenhaus auf dem nordöstlichen Eckgrundstück Friedenstraße und Kaiserstraße (heute Marktstraße), der Erwerb einer Feuerspritze wird im Beschlussbuch schon Mitte der 1890er Jahre erwähnt, eine Feuerwehr gab es aber erst ab etwa 1925. Vorher wurde in der Gemeinde ein sogenannter Spritzenmeister gewählt, der im Brandfall mit der pferdegezogenen Spritze ausrücken musste. Für die Einsätze wurden den Spritzenmeistern Aufwandsentschädigungen gezahlt. Auffällig ist, das alle bekannten Spritzenmeister rund um die Kreuzung Friedenstraße / Kaiserstraße wohnten.

siegel

Einwohnerzahlen

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Jahr Einwohner
1805 557
1871 787
1875 787
1878 787
1880 702
1881 823
1885 645
1886 611
1889 702
1894 645
1902 611
1910 611
1920 748
1928 748

Spritzenmeister in Kietz bei Küstrin

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Von Bis Name
01.04.1895 17.11.1900 Brutschke, Wilhelm III
17.11.1900 Ewald, Carl
17.11.1900 17.12.1900 Klosse, Otto
17.11.1900 Klepsch, Albert
12.01.1901 Kunert, Franz
07.08.1909 Gückler, Rudolf

Sonstige Posten in der Gemeinde

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Posten Von Bis Name
Amtsdiener 1883 1889 Riedling, Christian
Amtsdiener 1887 1902/03 Halbmeier, Martin
Amtsdiener 20.08.1904 20.06.1907 Wustrack, Wilhelm
Amtsdiener 27.03.1908 1928 Ulrich, Wilhelm
Amtssekretär 23.01.1914 15.12.1919 Kipper, Max
Fischereiaufseher (Nebenamt) 14.12.1901 Lutz, Friedrich
Gemeindekassen-Rendant 14.05.1892 31.03.1895 Genth, Friedrich
Gemeindekassen-Rendant 1898 08.03.1919 Brutschke, Friedrich (junior)
Kuh-Kataster-Kontrolleur 01.03.1919 13.05.1919 Helgenberger
Ortssteuererheber 16.02.1895 24.10.1908 Brutschke, Friedrich (junior)
Wiesenwärter 1883 1885 Halbmeier, Martin
Wiesenwärter 1887 1893 Gensch, Carl
Wiesenwärter 1897 1928 Lutz, Friedrich

Otto Klosse meldete sich nach kurzer Zeit krankheitsbedingt von seinem Amt als Spritzenmeister ab. Richard Schultze wurde am 09.06.1909 in Abwesenheit zum 2. Spritzenmeister gewählt und schriftlich über die Wahl informiert. Er nahm die Wahl nicht an. Die Wiesenwärter waren ursprünglich wohl nicht direkt bei der Gemeinde angestellt, sondern arbeiteten für die "Interessengemeinschaft" - dem Zusammenschluss der ursprünglichen 60 Kietzer Familien, die auch zusammen ihre Fischereiprevilegien wahrnahmen. Viele Familien fischten aber nicht mehr selbst, sondern verpachteten ihre Rechte an andere Fischer. Friedrich Lutz als Wiesenwärter und Fischereiaufseher war dann jedoch Angestellter der Gemeinde. Als der Herr Helgenberger sein Amt als Kuh-Kataster-Kontrolleur antrat, war er bereits Rentner.

Daneben beschäftigte die Gemeinde noch einen Lehrer, eine Handarbeitslehrerin und eine Schuldienerin. Mehr dazu folgt aber im Artikel über die Kietzer Schule.

Die Gemeindevertretung in Kietz bei Küstrin

Auch wenn man immer wieder von Wahlen und Abstimmungen in der Gemeindeverwaltung liest und das ganze einen demokratischen Eindruck macht, war die Wahl der Gemeindevertreter alles Andere als demokratisch. Bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges bildeten ausschließlich Gutsbesitzer und Eigentümer die Gemeindevertretung, erst danach findet man dort zum Beispiel auch Handwerker und Lehrer. Im Kaiserreich in Preußen galt das 3-Klassen-Wahlrecht - kurz gesagt stieg das politische Gewicht der Herren mit ihrem Reichtum. Umso wohlhabender man war, umso mehr Stimmen hatte man bei Wahlen. Andersrum, so berichtet die "Wählerliste zur Wahl von zwei Gerichtsmännern für die Gemeinde Kietz" von 1885, hatten zum Beispiel zwei Gutsbesitzer, die zusammen ein Gut besaßen, auch nur zusammen eine Stimme. In der genannten Wählerliste hatten die 59 zur Wahl berechtigten Einwohner - ausschliesslich Gutsbesitzer und Eigentümer - zwischen einer halben und zwei Stimmen.

Die Mitglieder der Gemeindenvertretung wurden immer für einen bestimmten Zeitraum gewählt und mussten dann theoretisch ihr Amt aufgeben - sie konnten aber sofort wieder für eine Amtszeit gewählt werden. Die Anzahl der Amtszeiten war nicht begrenzt. Die Aufstiegsmöglichkeiten bestanden darin, dass man als Gemeindeverordnter auch zum Gerichtsmann und zum Gemeindevorsteher gewählt werden konnte. Mann konnte aber nur immer eines dieser drei Ämter innehaben. Das heute zu recht kurios anmutende Wahlverfahren für die Gemeindevertretung ist in im Sitzungsprotokoll vom 28. Februar 1894 dokumentiert:

Die 15 Gemeindeverordneten gehörten je zu einem Drittel den Klassen I, II und III an. Von diesen 15 mussten 5 aus ihrem Amt ausscheiden. Der Gemeindevorsteher ermittelte mit einem Losverfahren, dass aus der II. und III. Klasse je ein Verordneter und aus Klasse I drei Verordnete aus der Gemeindevertretung ausscheiden mussten. Welche der Verordneten zum 1. April 1894 ausscheiden mussten, bestimmte der Vorsitzende wiederum per Los. Um es kurz zu machen, vier der fünf Herren waren auch nach dem 1. April wieder Mitglieder in der Gemeindevertretung.

Das Selbstbewusstsein bzw. die Selbstwahrnehmung der Gemeindevertreter, die als Gutsbesitzer bezeichnet wurden, aber wohl eher Großbauern waren, zeigt sich in einem Beschluss der Gemeindevertreter vom 8. Juli 1911 ganz besonders:

Punkt 3: Folgender Antrag wurde als dringlich anerkannt als Nachtrag zum Ortsstatut:

Die Vertretung beschloss: alle im Orte Kietz neu zu erbauenden Wohnhäuser müssen im herrschaftlichen Villenstil erbaut werden, Ausnahmen bedürfen der Genehmigung der Gemeindevertretung.

Mitglieder der Gemeindevertretung Kietz

In Ermangelung erhaltener Quellen sind die Angaben aus der Zeit vor 1892 nur ungenau. Auch aus den 1920er Jahren sind nur wenige schriftliche Protokolle überliefert, so dass auch die Daten der Gerichtsmänner und Gemeindeverodneten aus diesem Zeitraum leider nur als unvollständig und ungenau zu betrachten sind. Nochmal zur Erinnerung: Alle in den Tabellen im Zusammenhang mit Personen genannten Zeiträume sind als "mindestens von - bis" zu interpretieren.

Bekannte Schulzen / Gemeindevorsteher der alten Kietze

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Von Bis Name
1412 Merch, Peter
1412 Lytzeken, Hans
um 1442 Kratinghele, Paul
vor 1680 Tismer, Martin
vor 1680 Thiele, Hans
vor 1680 Kretke, Martin
vor 1680 Brutschke, Maertin
vor 1680 Jäckell, Adam
vor 1680 Schwan, Jürgen
vor 1680 Lange, Christoph
vor 1680 Konrad, Jürgen
1709 1712 Kretke, Martin
1713 1750 Klepsch, Martin
1751 1759 Klepsch, Paul
1759 13.07.1764 Schwan, George
28.08.1764 1787 Tismer, Peter
1787 1809 Werder, Michel
1809 1817 Schwan, Johann George

Die Gemeindevorsteher des neuen Kietzes 1819 - 1929

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Von Bis Name
1817 1821 Tismer, Peter*
1821 1826 Klosse, Christoph
1826 1831 Tismer, Peter
1831 01.10.1838 Tismer, Johann Heinrich
??.10.1838 01.08.1849 Engel, Martin Gottfried
1849 1850 Tismer, Gottlieb
1850 1862 Hamann, Martin
1862 1880 Schmidt, Martin
1880 1886 Engel, Johann
1887 05.11.1892 Tismer, August
05.11.1892 07.11.1898 Schultze, Wilhelm II
11.03.1899 02.07.1902 Schultze, Wilhelm IV
09.08.1902 11.07.1908 Kunert, Franz
28.07.1908 09.06.1914 Schmidt, Gustav
01.08.1914 30.09.1929 Engel, Reinhold

* Peter Tismer (1817 - 1821) war im alten und neuen Kietz Schulze / Gemeindevorsteher.

Gerichtsleute (Schöffen) 1892 - 1929

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Von Bis Name
07.04.1892 14.05.1898 Schultze, Wilhelm I
07.04.1892 17.08.1895 Künkel, Ferdinand
07.04.1892 25.02.1893 Brutschke, Wilhelm II
07.04.1892 17.06.1896 Brutschke, Wilhelm
08.07.1893 12.01.1901 Schultze, Wilhelm III
19.02.1896 16.02.1901 Engel, Johann
18.09.1896 09.08.1902 Weber, Otto
08.06.1898 19.07.1915 Gückler, Robert
16.04.1901 02.07.1902 Kunert, Franz
16.04.1901 23.02.1907 Brutschke, Wilhelm III
20.09.1902 11.07.1908 Künkel, Ferdinand
20.09.1902 15.10.1906 Schultze, Wilhelm IV
01.11.1906 01.11.1906 Brutschke, Adolph
23.02.1907 11.07.1908 Schmidt, Gustav
23.02.1907 22.06.1929 Schultze, Edmund
28.07.1908 22.06.1929 Brutschke, Wilhelm III
14.08.1908 28.10.1919 Brutschke, Adolph
04.08.1915 28.10.1919 Werder, Wilhelm
15.12.1919 22.06.1929 Künkel, Johannes
15.12.1919 15.12.1919 Janke, Paul
23.08.1928 22.06.1929 Gückler, Rudolf

Gemeindeverordnete 1892 - 1929

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Von Bis Name
07.04.1892 26.02.1902 Zegenhagen, Johann
07.04.1892 28.04.1900 Ewald, Carl II
07.04.1892 31.03.1894 Greier, Rudolph
07.04.1892 21.04.1897 Voigtländer, Wilhelm
07.04.1892 08.03.1919 Schwan, Wilhelm
07.04.1892 05.11.1892 Schultze, Wilhelm II
07.04.1892 16.02.1901 Brutschke, Wilhelm III
07.04.1892 17.06.1896 Weber, Otto
07.04.1892 20.06.1907 Genth, Friedrich
07.04.1892 21.12.1895 Engel,Johann
07.04.1892 02.02.1907 Schmidt, Gustav
07.04.1892 01.05.1893 Schultze, Wilhelm III
07.04.1892 27.03.1908 Hamann, Heinrich
07.04.1892 14.08.1908 Brutschke, Friedrich
07.04.1892 08.06.1898 Brauer, Fritz
25.02.1893 14.08.1908 Brutschke, Adolph
22.07.1893 20.04.1898 Schmidt, Wilhelm
18.04.1894 24.03.1900 Werder, Wilhelm II
06.05.1896 09.08.1902 Künkel, Ferdinand
03.06.1897 17.12.1898 Schultze, Wilhelm IV
16.07.1898 16.04.1901 Kunert, Franz
03.06.1897 11.03.1899 Haacke, August
16.07.1898 27.03.1908 Weinert, Richard
06.05.1899 08.03.1919 Klepsch, Albert
27.05.1899 09.04.1904 Ewald, Heinrich
28.04.1900 19.07.1915 Werder, Wilhelm II
04.08.1900 23.02.1906 Prenzlow, Johann
16.04.1901 05.12.1911 Gaedicke, Arthur
22.06.1901 12.01.1906 Schultze, Wilhelm III
09.04.1902 27.03.1908 Haacke, August
07.03.1903 17.03.1909 Schwedler, Wilhelm
03.06.1904 08.03.1919 Weber, Otto
25.04.1906 15.12.1919 Engel, Emil
25.04.1906 23.02.1907 Schultze, Edmund
27.03.1908 17.03.1913 Schultze, Georg
20.06.1908 17.03.1913 Prenzlow, Johann
20.06.1908 28.07.1908 Brutschke, Wilhelm III
20.06.1908 24.04.1914 Schmidt, Karl
20.06.1908 22.06.1929 Hamann, Martin
20.06.1908 09.07.1914 Engel, Reinhold
24.10.1908 08.03.1919 Hamann, Franz
24.10.1908 28.03.1922 Brauer, Wilhelm
24.10.1908 08.03.1919 Engel, Ernst
28.09.1909 10.03.1911 Grasnick, Paul
08.07.1911 28.03.1922 Zegenhagen, Franz
29.05.1912 01.03.1919 Weinert, Richard
19.09.1913 08.03.1919 Thimann, Richard
19.09.1913 22.06.1929 Wilke, Richard
16.06.1914 22.06.1929 Brutschke, Max
01.08.1914 26.03.1917 Schmidt, Gustav
23.03.1916 23.02.1917 Schmidt, Karl
05.04.1919 22.06.1929 Sasse, Otto
05.04.1919 28.03.1922 Boese, Georg
05.04.1919 28.10.1919 Janke, Paul
05.04.1919 28.10.1919 Künkel, Johannes
05.04.1919 22.06.1929 Ewald, Gustav
05.04.1919 28.03.1922 Zieb, Emil
05.04.1919 22.06.1929 Görlitz, Gustav
05.04.1919 15.12.1919 Wilke, Albert
05.04.1919 22.06.1929 Wienkoop, Willi
28.03.1922 22.06.1929 Giese, Paul
23.08.1928 22.06.1929 Werder, Kurt
23.08.1928 22.06.1929 Zimmermann, Hermann
23.08.1928 22.06.1929 Böhme, Richard
23.08.1928 22.06.1929 Unglaube, Ernst
23.01.1929 22.06.1929 Juhre, Otto
23.01.1929 22.06.1929 Sander, M.
23.01.1929 22.06.1929 Kuke, Fr.
23.01.1929 22.06.1929 Dewitz, K.

Am 30. September 1929 beschloss das Preußische Staatsministerium die Eingemeindung des Dorfes Kietz in die Stadt Küstrin mit Wirkung vom 1. Oktober 1929 - also ein Tag später. Damit endet auch die Geschichte der Gemeindeverwaltung. Der letzte Gemeindevorsteher wurde später Beigeordneter in der Küstriner Stadtverwaltung. Über den viele Jahre verschlingenden Versuch der Eingemeindung durch die Stadt Küstrin und des entschiedenen Widerstandes der Kietzer wird es einen separaten Artikel geben.

Quellen: