Die Geschichte dieser Kirche beginnt mit der Verbrennung von Jan Hus in Böhmen im Jahr 1415. In der ersten Zeit trug sie den Namen "Böhmische Brüder". Die Herrnhuter Brüdergemeine hat Ihren Sitz im gleichnamigen Ort Herrnhut, Kreis Görlitz (Sachsen), an der Grenze zur Tschechischen Republik gelegen. Die Herrnhuter arbeiten überkonfessionell, stehen aber der evangelischen Kirche nah. Auch Frauen können ordiniert werden. Einen tiefer gehenden Artikel über die Allgemeine Geschichte finden Sie in der Wikipedia. Bevor wir mit der Geschichte des Gemeindebezirks Kietz beginnen, müssen vorab noch einige Begriffe erklärt werden:
- Diaspora bezeichnet eine abgelegene (weit weg von den Hauptgemeinden wie Herrnhut und Berlin) Klein(st)gemeinde.
- Als Diasporaarbeiter werden die Prediger bezeichnet.
- Diaspora-Versammlungen sind die Veranstaltungen der Gemeinde (nicht nur Gottesdienste)
- Brüder und Schwestern sind die Gemeindemitglieder
Im Oktober 1856 wurde in Kietz bei Cüstrin die Versammlung der Herrnhuter Brüdergemeine gegründet. In den ersten 25 Jahren traf man sich in Privatwohnungen, diese wurden jedoch mit der Zeit zu klein, da regelmäßig mehr Menschen z.B. zu den Gottesdiensten kamen, als die Gemeinde Mitglieder (1927 waren es 36) hatte.
Im Oktober 1881 konnten die Gemeindemitglieder ihr Gemeindehaus beziehen. Dieser Betsaal wurde in der Lindenstraße 5 (Ecke Kaiserstraße, heute Marktstraße) erbaut und bestand neben einem großen und kleinen Saal noch aus einem zweistöckigen Wohntrakt mit je einer Wohnung pro Stockwerk. Die obere Wohnung wurde vermietet, die Untere wurde durch zwei Gemeindemitglieder bewohnt, die durch die von ihnen eingezahlten Betrag lebenslanges Wohnrecht hatten. Die Säle fassten bis zu 400 Personen. In der Regel wurde nur der kleine Saal durch die Versammlung benutzt.
Der große Saal wurde durch die evangelische Landeskirche für Ihre Gottesdienste genutzt. Kietz und die Lange Vorstadt hatten zwar ab ca. 1906 ein Pfarrhaus, aber keine eigene Kirche. Die evangelische Gemeinde der beiden Orte war der Pfarrkirchen-Gemeinde in der Altstadt unterstellt. Etwa ab dem Jahre 1924 musste die Landeskirche laut einem Vertrag mit der Herrnhuter Brüdergemeine eine "angemessene" Miete für den Saal zahlen.
Die Nähe zur Landeskirche zeigte sich in Kietz/Küstrin-Kietz auch darin, dass alle Mitglieder der Gemeinde auch Mitglied der Landeskirche waren. Die dort tätigen Diasporaarbeiter waren normal ausgebildete Pfarrer, die auch in jeder Kirche der Landeskirche hätten arbeiten können. Den Diasporaarbeitern der Gemeinde wurde auch immer wieder Aufgaben durch die Pfarrer der Landeskirche übertragen.
Auch wenn die Gemeinde schon seit 1856 bestand, arbeitete dort erst ab 1920 ein vor Ort wohnender Prediger. Ihm folgten bis 1945 zwei weitere:
Zeitraum | Name | Geboren am / in |
---|---|---|
1920-1925 | Uhlmann, Otto Paul | 1880 in Klaffenbach bei Chemnitz |
1924-1926 | Schaberg, Paul Willibald | 1900 in Desden |
1926-1945 | Jache, Gustav | 1892 in Neuwalde bei Költschen |
Otto Paul Uhlmann wurde nach seiner Ausbildung zwischen 1900 und 1906 in Ebersdorf und Niesky im Jahr 1907 Diakonus und arbeitete dann bis 1916 in Ostafrika. Dort wurde er mit seiner Frau Auguste Elisabeth Fischer - die er 1910 geheiratet hatte - und den Kindern interniert, seine Frau starb im Lager. Im Jahr 1919 heiratete er seine zweite Ehefrau Anna Therese Bock, beide zogen 1920 nach Kietz und lebten in der oberen Wohnung des Betsaals. Zum Kietzer Bezirk kamen in diesen Jahre noch die Orte Sellin und Blumberg hinzu. Dort hatten sich nach dem ersten Weltkrieg viele Flüchtlinge aus den dann polnischen Gebieten niedergelassen. Pfingsten 1925 starb er während eines Erholungsaufenthaltes in Ebersberg an einem Herzleiden.
Der in der Diasporaarbeit unerfahrene Paul Willibald Schaberg wurde nach Abitur und Militärdienst in Dresden, sowie theologischem Studium in Gnadenfeld bereits 1924 als Gehilfe nach Kietz geschickt, um O. P. Uhlmann zu unterstützen. Zuvor hatte er nur zwei Jahre lang als Lehrer in Kleinwelka gearbeitet, übernahm aber nach dem Tode Uhlmanns den Kietzer Bezirk. Zu dieser Zeit wurden im Bezirk ca. 30 Versammlungen pro Monat abgehalten und Pfarrer Brand der Friedenskirchengemeinde wollte der Herrnhuter Brüdergemeine seine vier Kirchenkreise (Mädchenbibelkreis, Schülerkreis, Evangelisationsabend und ein weiterer Erwachsenenkreis), die er neben seiner Tätigkeit als Pfarrer betreut hatte, zusätzlich übergeben. Grund dafür war, dass "ihm die Theologie seines Nachfolgers zu unbiblisch war". Mit der Übernahme dieser Kreise sollte die Anstellung Schaberg's finanziert werden. Im Jahre 1926 wurde er in die Bibel- und Missionsschule nach Herrnhut berufen.
Nach kurzer Einarbeitungszeit übernahm 1926 Gustav Jache die Gemeinde. Jache wurde nach seiner Ausbildung zwischen 1920 und 1923 nach Stanislawow (Polen) berufen, erhielt aber keine Einreisegenehmigung, so dass dann er im Christburger Bezirk in Westpreußen arbeitete. Schon während seiner Arbeit dort erhielt er eine Berufung nach Kietz, die er aber zu diesem Zeitpunkt noch ablehnte. Erst als viele deutsche Siedler seinen Bezirk in Westpreußen verliessen, ging er 1926 nach einer weiteren Berufung nach Kietz. Als Gehilfe von Gustav Jache wurde im Herbst 1926 Wilfried Tietz eingestellt. Noch während seiner Einarbeitungszeit entschieden P.W. Schaberg und G. Jache, mit J. Bintz einen weiteren Gehilfen einzustellen. Dies konnte sich der Bezirk aber finanziell nicht leisten, so dass Binz schon 1927 nach Herrnhut versetzt. Gustav Jache wurde 1927 in Kietz zum Diakonus ordiniert. Sein Gehilfe Tietz blieb nur bis zum Herbst 1927 und wurde dann Lehrer in Kleinwelka. Die küstriner Versammlung bei Bäcker Brutschke ging nach 1927 ein. Gustav Jache wirkte bis 1945 im Kietzer Bezirk. Weitere Gehilfen entnehmen Sie bitte der folgenden Tabelle:
Zeitraum | Name | Geboren am / in |
---|---|---|
1924-1925 | Paul Willibald Schaberg | 1900 in Dresden |
1926-1927 | J. Bintz | 1901 in Anatolina (bei Leonberg in Polen) |
1926-1927 | Wilfried Tietzen | 1896 in Berthelsdorf |
1927-1928 | Albert Raillard | in Herrnhut |
1927-1929 | Emil Otto Fichtner | 1903 in Simla (Indien) |
ab 1928 | A.F. Hanebuth | |
1935. | Albert Theodor Weiss | 1906 in Jamaika |
Der Bezirk Kietz umfasste die folgenden Orte, aber nur Alt-Drewitz, Kietz und Döllensradung hatten einen eigenen Betsaal:
- Alt-Drewitz
- Alt-Schaumburg
- Alt-Tucheband
- Altensorge
- Balz
- Birkenwerder
- Blumberg
- Bürgerwiesen
- Cammin
- Cüstrin
- (Neu)-Diedersdorf
- Döllensradung
- Heinersdorf
- Hermersdorf
- Hermsdorf
- Herzershof
- Kietz
- Kietzerbusch
- Lebus
- Landsberg/Warthe
- Manschnow
- Neu-Tucheband
- Obersdorf
- Sachsendorf
- Sellin
- Spiegel
- Tornow
- Trebnitz
- Vietz
- Zechowerwiesen
Quellen:
- "Dank an die Diaspora - Kurze Geschichte der Gemeinschaftspflege der Brüdergemeine im Warthe- Netze- und Oderbruch 1802 - 1945" von P.W. Schaberg, 1986, Boekdepot 7234 Genadendal, Rep. Südafrika
- Statistik aus dem Jahresbericht von 1927
- "Eine Reise in die Vergangenheit - ein Besuch im Warthe- und Netzebruch 2002" von Burghard Herrmann, Berlin
- Nachrichten aus der Brüdergemeinde 1883, Seite 28/29
Mein spezieller Dank an dieser Stelle geht an Herrn Olaf Nippe, Unitätsarchiv, Herrnhut für seine Auskünfte und die Bereitstellung der genannten Quelldokumente.