zurück zu Teil 1


Am andern Morgen kam der Befehl, die Truppen sollten die Wälle verlassen und sich im Quartier ausruhen, der General fuhr in Begleitung eines Offiziers und eines Trompeters über die Oder. -

Der Commandeur des feindlichen Beobachtungscorps, ein französischer Capitain, eilte ihm entgegen, ließ die Truppen präsentiren und trat mit dem General in ein Haus der Vorstadt.

Eine Stunde später kehrte der Commandant zurück.

So lange es eine Kriegsgeschichte giebt, ist kein Beispiel davon vorhanden, daß der Commandant einer Festung dieselbe verlassen hat, um mit dem Feinde zu unterhandeln.

Sobald der General in die Festung zurückgekehrt war, ließ er Allarm schlagen und die Garnison auf dem Markte der Stadt versammeln. Gleich darauf erfolgte der Befehl, das Gewehr zu strecken. 250 Mann Franzosen kamen auf Kähnen über die Oder, um die Besatzung, welche ca. 4000 Mann stark war, gefangen zu nehmen.*)

„Der Anblick war herzzerreißend, empörend!" schreibt der Verfasser der vertrauten Briefe. „Viele Soldaten schlugen von den Flinten die Kolben ab, um sie nicht ganz in die Hände des Feindes zu liefern, in den Gesichtern Aller malte sich Verzweiflung, herber Schmerz und Erbitterung. Ein Theil der Offiziere umringte den Commandanten und überhäufte ihn mit Vorwürfen und Schmähreden, der wie ein Stock dastand und au den Nägeln kaute. Ein anderer Theil weinte. Der brave Commandeur der Usedom-Husaren konnte vor Schmerz und Wuth nicht weiter, er setzte sich erschöpft vor die Thüre der Wohnung des Commandanten, und als dieser bei ihm vorbeiging, konnte er sich nicht enthalten, ihn einen Verräther zu nennen und sich voll Abscheu von ihm zu wenden."

*) Vertr. Briefe.

So mancher Bürger rief: „Sticht Keiner den H..... nieder?" - aber was half das jetzt, wo der Feind in der Feste war!

Die gefangene Besatzung ward nach Spandau transportirt, unter den Tausenden befand sich ein kleiner Zug von zwanzig Mann - sie fluchten nicht, kein Zorn, keine Wuth entstellte die ehernen Züge, nur tiefer, bitterer Schmerz beugte die welken, lebensmüden Gestalten: es waren Veteranen aus der Zeit Friedrich des Großen.

Dereinst setzten sie die Welt in Erstaumen, in Ehren hatten sie gelebt, und jetzt, am Rande des Grabes, häufte ein Verräther Schmach auf den grauen Scheitel!*) Friedrich Wilhelm III. hat Cüstrin nie wieder betreten; der Commandant wurde zum Arquebusiren verurtheilt.

Anmerkungen: Die Rechtschreibung des Originaltextes wurde beibehalten. Bei "I...." handelt es sich um Friedrich Wilhelm Heinrich Ferdinand von Ingersleben. Er wurde durch ein Kriegsgericht zum Tod durch "Arquebusieren" verurteilt, starb aber wohl "1814 im Ausland" (siehe: http://home.foni.net/~adelsforschung2/kriegsgericht.htm). Arquebusieren wurde wahrscheinlich von französischen Wort "arquebuse" (Deutsch: Büchse) abgeleitet und bedeutet damit "erschießen".

 

Aus: Pole, Jude und Franzose oder: Die Königsfeinde. Historisch romantische Zeitgeschichte Friedrich Wilhelms IV. von Eugen Hermann von Dedenroth - 1861. Original verfasst von Ernst Pitawall.